Einer der umstrittensten Aspekte der geplanten Volksabstimmung zu Stuttgart 21 ist das erforderliche Quorum. Wir wollen in diesem Beitrag näher auf das Quorum eingehen und erklären, warum wir uns gegen dessen aktuelle Form aussprechen.

Unrepräsentative Mehrheiten verhindern
Für eine positive Volksabstimmung in Baden-Württemberg gilt folgendes Zustimmungsquorum:

  • Es müssen mindestens 33 % der Wahlberechtigten mit „Ja“ stimmen.
  • Es dürfen nicht mehr Nein- als Ja-Stimmen abgegeben werden.

Der grundsätzliche Zweck eines Quorums bei demokratischen Wahlen und Abstimmungen ist das Verhindern von unrepräsentativen Mehrheiten. Es wird also festgelegt, wie viele Stimmberechtigte an einer Abstimmung teilnehmen müssen, damit diese auch Gültigkeit besitzt. Für Abstimmungen im deutschen Bundestag etwa gilt ein generelles Quorum von 50 %, es muss also mindestens die Hälfte aller Abgeordneten anwesend sein, damit das Parlament beschlussfähig ist – egal wie diese dann genau abstimmen.

Für Landtags- und Bundestagswahlen gibt es in Deutschland keine Quoren. Egal wie hoch die Wahlbeteiligung also ausfällt, die Abgeordneten sind gewählt. Im Fall eines Volksentscheids gilt üblicherweise ein Zustimmungsquorum. Hier spielt also primär die abgegebene Zahl positiver Stimmen eine Rolle. In Baden-Württemberg gilt bei einfachen Gesetzen ein Zustimmungsquorum von 33 % der Wahlberechtigten. Anderenfalls wird die Abstimmung als gescheitert betrachtet.

Regierungsmehrheit im Landtag verfehlt 33 % deutlich

  • Schwarz-Gelb (CDU oder FDP) wurden 2006 von 29,25 % der Wahlberechtigten gewählt.
  • Grün-Rot (Grüne oder SPD) wurden 2011 von 31,38 % der Wahlberechtigten gewählt.

Erlauben wir uns jedoch einmal ein kleines Gedankenspiel: Nehmen wir an, für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg hätte 2006 ein Zustimmungsquorum von 33 % als Voraussetzung für den Regierungsauftrag gegolten. Angesichts der Wahlbeteiligung von 53,4 % hätte dies dazu geführt, dass CDU und FDP alleine keine Regierung hätten bilden können, da sie gemeinsam noch nicht einmal annähernd die notwendigen 62,4 % der Stimmen erreicht hätten. Gleiches gilt für Grün-Rot bei der Wahl 2011: Zwar haben sie die Mehrheit an Parlamentssitzen erreicht, hätten aber trotz gestiegener Wahlbeteiligung das Zustimmungsquorum von 33 % verfehlt.

Weder die aktuelle Regierungskoalition noch die vorangegangene hätten also selbst die Hürde genommen, die für eine erfolgreiche Volksabstimmung notwendig ist.

Zustimmungsquorum bei Volksentscheiden von Land zu Land unterschiedlich

Die Hürden für Volksentscheide über einfache Gesetze unterscheiden sich in Deutschland von Bundesland zu Bundesland. Während etwa die Länder Sachsen, Hessen und Bayern hier kein Zustimmungsquorum kennen, ist im Saarland als Spitzenreiter die Zustimmung von mindestens 50 % der Stimmberechtigten für einen positiven Volksentscheid erforderlich. Baden-Württemberg teilt sich zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern den zweiten Platz, was die Höhe des Quorums angeht.

Hohes Quorum führt je nach Abstimmungsbeteiligung zur Verzerrung des Ergebnisses
Höhe der Zustimmungsquoren in den einzelnen Ländern bei einem Volksentscheid zu einem einfachen Gesetz:

  • 50 %: Saarland
  • 33 %: Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern
  • 25 %: Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen
  • 20 %: Bremen, Hamburg*
  • 15 %: Nordrhein-Westfalen
  • Kein Zustimmungsquorum: Bayern, Hessen, Sachsen

* Findet der Volksentscheid in Hamburg an einem Wahltag statt, gilt er bei einer Mehrheit der Ja-Stimmen als angenommen, wenn die Gesamtzahl abgegebener Stimmen mindestens genauso hoch ist wie die einfache Mehrheit der hamburgischen Bürgerschaft an Wählerstimmen bei der vorhergehenden Wahl erhalten hat. Anderenfalls gilt ein Zustimmungsquorum von 20 %.

Baden-Württemberg nimmt hier also einen Spitzenplatz ein. So ist zum Beispiel denkbar, dass ein Ergebnis von 61 % Ja-Stimmen am Ende nicht gültig ist, weil die Abstimmungsbeteiligung bei 54 % oder weniger liegt. Bei einer Abstimmungsbeteiligung von 45 % wären gar 74 % Ja-Stimmen für eine Annahme der Abstimmung noch nicht ausreichend.

Für ein unverzerrtes Ergebnis dürfte die Abstimmungsbeteiligung also keinesfalls unter 66 % liegen. Zum Vergleich: Die Wahlbeteiligung bei der vergangenen Landtagswahl war mit 66,3 % in Anbetracht der fallenden Wahlbeteiligung bereits außergewöhnlich hoch.

Mit dem derzeitigen Quorum kann sehr leicht eine Situation entstehen, bei der eine Mehrheit der Abstimmungsberechtigten ihre Stimme abgibt, eine deutliche Mehrheit dieser Stimmen mit „Ja“ ausfällt, und die Volksabstimmung trotzdem als gescheitert gilt. Der Ausgang wäre formal korrekt, würde aber vermutlich – zu recht – zu deutlichem Unverständnis in großen Teilen der Bevölkerung führen und damit das Ansehen unserer Demokratie weiter beschädigen.

Zustimmungsquorum muss gesenkt werden

Unserer Ansicht nach ist ein Quorum nicht grundsätzlich abzulehnen; es ist aber so anzulegen, dass es sich nicht verzerrend auf das Abstimmungsergebnis auswirkt. Grundsätzlich wäre das Problem schon entschärft, wenn Baden-Württemberg sein Zustimmungsquorum auf das Niveau der meisten anderen Länder (nämlich 25 %) absenken würde. Dies würde insbesondere das problematische Fenster der Abstimmungsbeteiligung – den Bereich zwischen 50 % und 66 % – abfangen. Auf lange Sicht wäre in jedem Fall ein Quorum von 10 % wünschenswert.

Wenn man all diese Aspekte berücksichtigt, wird es bei der für September geplanten Volksbefragung wahrscheinlich keine Entscheidung geben. Da absehbar ist, dass weder die Befürworter noch die Gegner das Quorum erfüllen, wird die Abstimmung als nicht entschieden gelten. Ein Ausstieg des Landes aus der Finanzierung von Stuttgart 21 ist bei diesem Ergebnis unwahrscheinlich. Es ist zu befürchten, dass eine Lösung des Konflikts weiter nicht in Sicht ist und sich die Fronten der Gegner und Befürworter wieder zunehmend verhärten. Das Vertrauen vieler Bürger dieses Landes in das demokratische System kann dadurch erschüttert werden. Hoffen wir, dass die gewählten Amtsträger doch noch zu der Einsicht gelangen, dass eine Volksabstimmung unter diesen Vorraussetzungen in niemandes Interesse sein kann.

Quellen