In Ingolstadt, Oberbayern, trafen sich am Samstag, dem 2. August 2008, 20 stimmberechtigte Piraten aus ganz Bayern und zwei Gäste aus Baden-Württemberg, um u.a. neue Vorstände für Landesverband und den Bezirksverband Oberbayern zu wählen und die Landesliste für die 17. Bundestagswahl aufzustellen.
Natürlich erwarteten wir aus der Region Stuttgart v.a. die Aufstellung der Landesliste mit großer Spannung. Aber es war so oder so nett, mal wieder die LV-Kollegen aus unserem Nachbarbundesland zu treffen, von denen wir viele kennen. Außerdem konnten wir als Wahlhelfer und Ratgeber einen kleinen Teil zum Gelingen des Parteitags beitragen.
Zunächst kam das Übliche: Versammlungs- und Wahlleiter sowie Protokollführer wurden durch Abstimmung ernannt, die Tagesordnung aufgestellt usw. Die erste nicht sehr positive Überraschung war ein Satzungsänderungsantrag, der den Vorstand des größten LV der PP von 5 auf 3 Personen reduzieren sollte — falls nicht genug Kandidaten bereit stünden! Anmerkung: der zu dieser Zeit noch amtierende Generalsekretär des Bayern-LV schätzte die Mitgliederzahl desselben auf 160 bis 190 (mangels Kommunikation mit dem BV nicht genauer).
Immerhin gelang es nach kurzer Diskussion, dass sich fünf der anwesenden bayrischen Piraten für je einen der Posten im Vorstand bewarben. Dabei blieben nur die Posten des Schatzmeisters und des stellvertretenden Vorsitzenden gleich besetzt, die anderen drei Neuen wurden aber ebenso klar gewählt.
Hier fiel aber zweierlei auf: erstens war die Anwesenheitsquote der Piraten bei diesem Landesparteitag sogar noch schlechter, als bei unserem im Mai 2008 in Stuttgart (< 10% verglichen mit ca. 15%), und zweitens ist selbst in diesem großen LV die Personaldecke für Vorstandsposten sehr dünn gesät; auch die anschließende Besetzung des vierköpfigen Schiedsgerichts gelang nur mit knapper Not und einer Nachnominierung.
Der Bezirksverband Oberbayern hielt mitten drin noch seinen eigenen (Wahl-)Parteitag ab, in dessen Verlauf er einen neuen, nur dreiköpfigen Vorstand erhielt ( ein Schiedsgericht ist da im Gegensatz zu den höheren Gliederungen nicht mehr nötig, und wurde auch nicht aufgestellt). Dabei fiel ein Kandidat für das LV-Schiedsgericht als Bezirksverbandvorsitzender weg (vgl.o.).
Man kann wohl sagen, dass ein Bezirksverband hier schnell an personelle Grenzen stößt, was auch für uns in BW eine Warnung ist, diese Gründungen noch geraume Zeit abzuwarten. Der Schatzmeister des Bezirksverbandes wurde übrigens mit Zustimmung des Landesparteitags in Personalunion mit dem des LV besetzt: die Oberbayern haben noch kein eigenes Konto. Immerhin wurde ein Bayern-interner neuer Verteilungsschlüssel für die Mitgliedsbeiträge von 25:25:25:25 für LV:BezirksV:KreisV:OrtsV beschlossen (von den 70%, die nicht an den BV gehen), womit offiziell jetzt der Bezirksverband über eigene Mittel verfügt. Diese Frage wird von der aktuellen Finanzordnung ausgespart bzw. die Ausgestaltung den Ländern überlassen.
Auch dies wird noch ein Thema in BW werden, in dem wir ebenfalls Regierungsbezirke haben, was aber nicht so eilig ist, weil wir uns noch gedulden werden…
Interessante Erfahrungen bzw. Vorschläge wurden auch berichtet, von verschiedenen Vorstandsmitgliedern, die alle als Block entlastet wurden:
mehr Kontakte zu anderen Parteien erscheinen sinnvoll, um unsere Themen durch indirekte Beeinflussung bei diesen mit zu lancieren bzw. unsere Auffassungen zu propagieren, denn vorläufig werden wir noch keine Parlamente entern können.
Der (wiedergewählte) stellvertretende Vorsitzende hat viel Arbeit im AK Vorrat investiert und sich lediglich als solcher des bayrischen Piraten-LV vorstellen lassen: es erfordert Fingerspitzengefühl, in diesem Bürgerrechtsbündnis mitzuarbeiten, ohne seine Parteizugehörigkeit zu leugnen oder unerwünschte Parteiwerbung zu machen, es wird nur zu Themen bzw. Anliegen gesprochen, die aber nahezu identisch sind.
Der Bayern-LV-eigene, kostenneutral betriebene (Hoster-Kosten werden durch Anteil an den bezahlten Mixkaskaden-Gebühren kompensiert) JonDo-Internet-Anonymisierungs-Server wurde auch noch einmal vorgestellt, der sich durchaus auch in demokratiefeindlichen Totalüberwachungssystemen wie China großer Beliebtheit erfreut, selten missbraucht wird und gelegentliche Anfragen der Polizei (zwei bis dreimal im Jahr) inzwischen recht souverän als nutzlose, keineswegs aufgrund illegalen Verhaltens vorgenommene Anonymisierungsaufhebungsaktionen abgelehnt werden (es können keine Zuordnungen zu Usern gemacht werden, was der Sinn der Sache ist). Das ist inzwischen von den Behörden auch akzeptiert, trotz der wahnwitzigen, fast ebenso demokratiefeindlichen Vorschriften der Vorratsdatenspeicherung.
Beim Unterschriftensammeln soll man ruhig dreist sein: selbst Punkergruppen sind oft ohne Weiteres bereit, für uns zu unterschreiben, wenn man ihnen z.B. Piratenbuttons dafür feilbietet (!). Auch eine gute Taktik ist z.B. ein Piratenparteischiffchen, mit Bonbons behängt, um damit Kinder zu ködern und so indirekt ihre Eltern an den Stand zu locken. Übrigens sind auch durchaus Mitglieder anderer Parteien, wie FDP und Grüne, machmal sogar welche von der SPD, bereit, uns Unterstützerzuschriften zu geben, die ihre in Parlamenten sitzenden Parteien nicht nötig haben, diese politisch interessierten Menschen kann man eben auch leicht in einer Diskussion von unseren Zielen überzeugen (falls möglich, bei CSU-Leuten wird man damit wohl kaum Glück haben).
Nun aber zum für uns spannendsten Thema: die Aufstellung der ersten Landesliste der Piratenpartei für eine deutsche Bundestagswahl (die 17te, geplant für August bis Oktober 2009 — falls nicht die Großkoalitionäre vorher schon keine Lust auf die Wurschtelei in Berlin mehr haben).
Vorab hatten nur Vier Piraten im Wiki ihre Kandidatur für die bayrische Landesliste bekannt gegeben, was mich zu der Bemerkung bzw. dem Apell veranlasste, man müsse mindestens 5 aufstellen, besser 10 bis 12, um dem Bundeswahlausschuss die Ernsthaftigkeit unserer Kandidatur deutlich zu machen (man muss ab ca. 5 % Stimmenanteil ja die zustehenden Sitze im Bundestag besetzen können).
Großartig war die Reaktion der Teilnehmer: ein ganzes Dutzend erklärte nun die Bereitschaft zu Kandidatur. Das war auf jeden Fall genug, selbst wenn nicht alle auf die Liste kommen würden oder später wegen mangelnder Unterlagen der ein oder andere von der Liste gestrichen werden sollte.
Natürlich besteht bei dieser Wahl keine realistische Chance, die 5%-Hürde zu nehmen, oder auch nur einen oder gar drei (das wäre die einzige Chance für die Landeslistenkandidaten trotz nicht erreichter 5% Zweitstimmen dennoch in den Bundestag zu kommen) Direktkandidaten bundesweit in das Parlament gewählt zu bekommen.
Aber wir müssen eben diese Ernsthaftigkeit mit realistischem Vorgehen unterstreichen, außerdem können wir für die 18. Bundestagswahl viel lernen (bei der unsere Chancen hoffentlich nicht mehr rein theoretisch sein werden) und PR für die Partei machen. Und es gibt zwei Ziele, die schwer zu erreichen sind, aber nicht unmöglich:
Wahlkampfkostenerstattung gibt es ab 0,5 % gültiger Zweitstimmen bei einer Bundestagswahl oder in den Wahlkreisen ab 10 % der gültigen Erststimmen in einem solchen (2,80 Euro pro Stimme). Auch nur eines dieser Ziele zu erreichen (z.B. in einem einzigen Bundestagswahlkreis, geschätzt: 45000 Euro und mehr), könnte uns finanziell stark voran bringen und unsere Mittel für kommende Wahlkämpfe stark erhöhen.
Zurück zum Ablauf: das hessische System (LV Hessen, um genau zu sein), wurde eingesetzt. D.h. im ersten Durchgang musste jeder der Kandidaten die absolute Mehrheit von Unterstützerstimmen des Plenums erhalten, um für die Landesliste zugelassen zu werden, damit man nicht automatisch auf diese kommt (was bei so wenigen Bewerbern sonst zwangsläufig wäre).
Diese Hürde wurde von allen Kandidaten souverän genommen.
Der zweite Wahlgang wurde wie bei Landeslisten üblich vollzogen: jeder stimmberechtigte LV-Pirat konnte (maximal) soviele Stimmen abgeben, wie es Kandidaten gibt, diese aber nach Belieben verteilen: alle 12 (in diesem Fall) auf einen Kandidaten, je 6 auf zwei verschiedene, oder eine für jeden oder wie auch immer. Die Reihenfolge auf der Landesliste bestimmt sich dann nach der Anzahl der Stimmen für die Kandidaten.
Übrigens stehen die ersten fünf Landeslistenkandidaten einer Partei auf dem Stimmzettel unter Zweitstimme der Partei aufgeführt. Nicht nur wegen des Cuts (nur soviele Kandidaten kommen ins Parlament, wie ab 5% Zweitstimmen dem LV zustehen, abzüglich der direkt gewählten Kandidaten) ist das also relevant.
Deswegen wurde auch gemäß der gültigen Bundeswahlordnung einfach ausgelost, wie die jeweils zwei stimmengleichen Kandidaten in die endgültige Reihenfolge gebracht wurden. Sicher keine Überraschung war der klare Vorsprung des neuen LV-Vorsitzenden auf der Landesliste, der ihm Platz 1 einbrachte.
Was sich aber auch gezeigt hat: Vorabaufrufe waren leider wenig effektiv, nur wenige der Kandidaten hatten schon Wählbarkeitsbescheinigungen (gibt es von der Hauptwohnsitzgemeinde) oder ausgefüllte Zustimmungserklärungen dabei. Auf diese Vorgaben kann man also nicht oft und deutlich genug im Vorfeld hinweisen!
Zur Abrundung noch zu Direktkandidaturen: der neugewählte LV-Vorsitzende Andreas Popp aka Kreuzritter (Wiki) hatte als Beispiel ein Unterstützungsformular für eine Unterschrift aus seinem Wahlkreis mitgebracht: er hatte von der Kreiswahlleitung immerhin 250 solche, einzeln persönlich für seinen Bundestagswahlkreis 217 Ingolstadt ausgestellte und gesiegelte Formulare erhalten. Er und Verwannte und Bekannte sind schon beim Sammeln der mindestens 200 Unterschriften, wobei wie bei Landeslistenunterschriften peinlich darauf zu achten ist, dass die Angaben vollständig sind, damit das Meldeamt diese Unterstützerunterschriften dann auch wirklich bestätigt.
Auch noch wichtig ist, dass sowohl die Landeslisten-, als auch die Wahlkreiszustimmungserklärungen der Kandidaten sowohl einen Verweis und Eintrag auf die jeweils andere Form der Kandidatur enthalten, die bei Kandidatur für Beides beide ebenfalls auszufüllen sind, als auch eine Versicherung an Eides statt, dass der Kandidat nicht Mitglied in einer anderen Partei ist als der, zu der diese Erklärung gehört. Diese Neuerung wurde erst im Frühjahr 2008 erlassen und birgt für uns ein gewisses Restrisiko, da die Parteisatzung eine solche Doppeltmitgliedschaft für Piraten ausdrücklich nicht ausschließt.
Alles in Allem war dies ein gelungener Landesparteitag mit einer genau richtig dimensionierten Landesliste für Bayern! Lasst uns das in Baden-Württemberg so schnell als möglich auch durchführen!