Als wir Erwachsene damals die Schule verließen, waren wir im Grunde unbeschriebene Blätter. Wir hatten unsere Noten und Zeugnisse – doch wir entschieden selbst, wie wir sie nutzen wollten. Selbst ein Abschlusszeugnis mit schwachen Noten konnte niemanden daran hindern, eine erfolgreiche Ausbildung oder ein Studium zu beginnen, wenn man wusste, wohin man wollte. Genau darin liegt der Sinn von Schule: Talente und Fähigkeiten zu fördern und jede Schülerin sowie jeden Schüler dabei zu unterstützen, ihren bzw. seinen Platz in der Gesellschaft zu finden.

Das gelingt jedoch nicht durch Datensammelei und Überwachung. Seit Jahrzehnten ist bekannt, woran unser Schulsystem krankt. Dass sich trotzdem wenig verbessert hat, liegt nicht am Mangel an Daten, sondern an der Reformunfähigkeit von Politik und Gesellschaft. Nun soll die sogenannte Bildungs-ID als Allheilmittel herhalten. Die Piratenpartei hält sie aus guten Gründen für eine schlechte Idee:

Risiken der Bildungs-ID

  • Zentrales Einfallstor für Missbrauch:
    Eine Bildungs-ID bündelt hochsensible Daten und wird damit zum attraktiven Ziel – für Privatunternehmen, Cyberkriminelle und staatliche Überwachung gleichermaßen. Besonders riskant wäre eine spätere Kopplung mit der Steuer-ID: So entstünde ein umfassendes, personenbezogenes Register, das weit über den Bildungsbereich hinausreicht. Was heute als nüchterne „bildungsstatistische Maßnahme“ verkauft wird, könnte in Zeiten politischer Verschiebungen rasch zur Grundlage für Diskriminierung und Ausgrenzung werden. Autoritäre Kräfte fänden in einer solchen Infrastruktur ein fertiges Instrument zur Kontrolle und Normierung ganzer Generationen.
  • Lebenslange Stigmatisierung: Anders als eine Zeugnisnote, die im Laufe des Lebens an Bedeutung verliert, würde eine lebenslange Kennung negative Einträge dauerhaft verfügbar machen – und so den Zugang zu Ausbildung, Studium oder Beruf erschweren.
  • Abhängigkeit von Drittanbietern: Baden-Württemberg macht sich – erneut – von externen Dienstleistern abhängig, womöglich sogar aus den USA. Während private Unternehmen an der Datensammelei verdienen, fehlt es im Unterricht an allen Ecken und Enden.
  • Ineffizienz: Schon heute werden vorhandene Daten kaum ausgewertet. Warum also eine neue zentrale ID einführen?

Offene Fragen

Für die Piratenpartei bleiben viele Punkte ungeklärt:

  • Gibt es ein Widerspruchsrecht für Schüler oder Eltern?
  • Wie behalten Schülerinnen und Schüler die Hoheit über ihre Daten?
  • Wie wird Transparenz in diesem hochsensiblen Bereich gewährleistet?
  • Bedeutet das den Einstieg in den „gläsernen Bürger“?

Ein demokratisches Land braucht einen Umgang mit Daten, der Freiheitsrechte schützt. Doch bereits heute ist im Koalitionsvertrag die Verknüpfung der Bildungs-ID mit der Steuer-ID und der geplanten Bürger-ID angedacht – ein hochriskantes Vorhaben.

Stimmen aus der Piratenpartei

Michael Freche, 1. Vorsitzender der Piratenpartei Baden-Württemberg, warnt:

„Die Bildungs-ID birgt die große Gefahr, den Einstieg in ein Normierungs- und Ratingsystem zu schaffen – von der Einschulung bis zum Lebensende. Wenn nicht heute, dann spätestens unter wachsenden autoritären Einflüssen. Eine freie Demokratie muss den Menschen die Hoheit über ihre Daten garantieren und diese Freiheit konsequent schützen.“

Sabin Schumacher, Beauftragte für Menschenrechte und Digitalisierung der Piratenpartei Baden-Württemberg, ergänzt:

„Unser Schulsystem enthält schon jetzt zahlreiche Mechanismen, die Diskriminierung und Stigmatisierung fördern. Bildungsgerechtigkeit nimmt stetig ab. Die Bildungs-ID droht, den Leistungsdruck zu erhöhen und gesellschaftliche Stigmatisierungen dauerhaft zu zementieren.“

Datenschutzpolitische Mindestanforderungen

Sollte die Bildungs-ID dennoch kommen, wären folgende Maßnahmen zwingend notwendig:

  • Zeitlich begrenzte IDs statt einer lebenslangen Kennung
  • Dezentrale Speicherung in Schulen oder kommunalen Rechenzentren
  • Strenge gesetzliche Zweckbindung – keine Erweiterung ohne neue Rechtsgrundlage
  • Einfach zugängliche Transparenz- und Auskunftsrechte für Schüler und Eltern