Die heutige Nachricht zur erneut abgesagten Inbetriebnahme von Stuttgart 21 überrascht mich in etwa so sehr wie ein verspäteter Zug der Deutschen Bahn. Wer in den letzten Jahren die Entwicklung dieses Projekts verfolgt hat, konnte den Countdown zur nächsten Verzögerung ohnehin schon mit der Stoppuhr in der Hand erwarten. Deshalb verwundert mich weniger die Verschiebung an sich, sondern eher die anhaltende Fähigkeit der Verantwortlichen, ihre eigenen Fehler jedes Mal als unerwartetes Ereignis zu inszenieren.

Während der Verband Region Stuttgart erklärt, man sei betroffen, bin ich das ebenfalls, jedoch aus einem anderen Grund. Ich bin betroffen davon, wie man es schafft, ein angebliches Jahrhundertprojekt über Jahrzehnte hinweg auf einem Niveau zu manövrieren, das eher an Improvisationstheater erinnert als an Infrastrukturplanung eines hochentwickelten Industrielandes. Stuttgart 21 sollte der Leuchtturm der Digitalen Schiene sein. Inzwischen wirkt es eher wie eine Dauerbaustelle, die man an Schulen als abschreckendes Beispiel für schlechtes Projektmanagement zeigen könnte.

Im Rems-Murr-Kreis erleben wir seit Jahren, was passiert, wenn ein Verkehrssystem auf Kante genäht läuft. Pendlerinnen und Pendler dürfen täglich raten, ob ihre Fahrt planmäßig verläuft oder ob die S-Bahn wieder einmal entscheidet, dass sie heute lieber mal nicht fährt. Und nun erfahren wir, dass auch die Digitale Schiene wohl lieber eine kleine Auszeit nimmt. Ein nostalgischer Rückfall in die analoge Welt wäre ja fast schon charmant, wenn er nicht Milliarden verschlingen und eine ganze Region ausbremsen würde.

Besonders bemerkenswert ist die Frage, ob die jetzt bekannt gewordenen Probleme bereits im Sommer absehbar waren. Wenn das so war, dann sprechen wir nicht mehr über ein Kommunikationsproblem, sondern über eine Haltung, bei der man Transparenz offensichtlich für einen Fehler hält. Die Menschen in der Region haben ein Recht darauf zu erfahren, wenn ein Prestigeprojekt vor die Wand fährt. Verschweigen ist keine Option, auch wenn es für manche offenbar zur Routine geworden ist.

Ich unterstütze die Forderung nach einer Sondersitzung nicht nur, ich halte sie für überfällig. Wenn Ministerpräsident und Bahnchefin ohnehin ständig erklären, wie wichtig Stuttgart 21 sei, dann dürfen sie diese erneute Blamage gerne persönlich vertreten. Vielleicht besteht dabei sogar die Chance, endlich herauszufinden, ob Stuttgart 21 irgendwann tatsächlich ein funktionierender Bahnhof werden soll oder ob wir mittlerweile das Fundament eines nationalen Infrastrukturdenkmals für ambitioniertes Scheitern aufgebaut haben.

Für die Menschen im Rems-Murr-Kreis bleibt jedenfalls entscheidend, dass wir eine Bahn brauchen, die fährt und nicht nur plant. Es wäre schön, wenn wir das irgendwann auch wieder erleben dürfen, idealerweise vor der nächsten Jahrhundertwende.

Philip Köngeter
Regionalrat Rems-Murr-Kreis